Berlin nach 19001920-19331933 - 19451945 - 19601960 - 1999


Karte von Berlin um 1920
Karte von Berlin um 1920

 

Das Berlin-Gesetz von 1920

Trotz der politischen Unruhen hatten der Berliner Magistrat und die gesamte städtische Verwaltung relativ unbehelligt arbeiten können. Am 18. November 1918 war sogar die alte Stadtverordnetenversammlung wieder zusammengetreten. Am 23. Februar 1919 wurde sie neu gewählt, endlich nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht, das keine Klassen mehr kannte. SPD (31,8 %) und USPD (33,O %) bekamen zusammen zwei Drittel der Mandate. Auch hier wählten jetzt erstmals die Frauen mit.
Frauen wählen zum ersten MalBald darauf erlebte Berlin eine grundlegende Kommunalpolitische Reform. SPD und USPD setzten im preußischen Parlament das ,,Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin" durch - dank Stimmenthaltung des Zentrums und gegen den widerstand der meisten Abgeordneten der übrigen bürgerlichen Parteien, die ein ,,rotes" Berlin mit einem von der SPD und anderen linken Parteien beherrschten Rathaus fürchteten.
Das Gesetz vom 27. April1920 trat am 1. Oktober 1920 in kraft und machte ,,Groß-Berlin" endlich zur modernen Großstadtgemeinde. Es faßte die inzwischen 3,8 Millionen Einwohner - die sich bisher auf Berlin (1,9 Millionen) und sieben weitere Städte (1,2 Millionen) mit zusammen fast 3,1 Millionen, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke verteilten - unter einheitlicher Verwaltung zusammen. Zehn Jahre später, 1930, lebten in Berlin 4,3 Millionen Menschen. Für Groß-Berlin waren nach diesem Gesetz alle vier Jahre 225 Stadtverordnete zu wählen. Die Verwaltung leitete wie bisher der Magistrat, der aus höchstens 30 Mitgliedern, mit dem Oberbürgermeister an der Spitze, bestand. 18 besoldete Magistratsmitglieder waren von den Stadtverordneten auf zwölf Jahre, die unbesoldeten auf vier Jahre zu wählen. An Fläche umfaßte Berlin jetzt rund 880 Quadratkilometer (1920: 878,1 qkm, seit 1938:883,66 qkm). Zugleich mit dem Zusammenschluß unterteilte man Berlin in 20 Bezirke. Zwölf von ihnen bilden Berlin (West), und 8 befanden sich in Berlin (Ost).
Jeder Bezirk erhielt ein Bezirksamt mit sieben bis 14 Mitgliedern: dem Bürgermeister und den Bezirksstadträten. Eine Bezirksversammlung, aus gewählten Bezirksverordneten und den Stadtverordneten des Bezirks bestehend,wählte und kontrollierte das Bezirksamt. Zentralisierung der Aufgaben und Bürgernähe sollten miteinander verbunden werden. Was nicht vom Magistrat verwaltet und entschieden werden mußte, war Aufgabe der neu gebildeten Bezirke.
,,Alt-Berlin" wurde in sechs Bezirke aufgeteilt. Von ihnen liegen heute drei (Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain) im östlichen und drei (Kreuzberg, Tiergarten und Wedding) im westlichen Teil Berlins.
Gab es nun ein ,,rotes" Groß-Berlin, wie die bürgerlichen Parteien befürchteten? In Wirklichkeit hat die Erweiterung eben dies eher verhindert. Im engen ,Alt-Berlin" mit seinen Mietskasernen-Vierteln hatte die SPD schließlich 75 % aller Wählerstimmen erhalten und fünf der sechs Reichstags-Abgeordneten gestellt. Doch seitdem 1920 auch der weite Kreis der Villenvororte Teil der Stadt geworden war, kamen selbst SPD und USPD/KPD zusammen nur noch auf eine knappe Mehrheit der Wähler. Damit ließ sich wegen der Zerstrittenheit der sozialistischen Parteien kein aktionsfähiger Magistrat bilden. So wählte die SPD 1920 trotz aller Vorbehalte den bürgerlich-demokratischen Oberbürgermeister Gustav Böß mit, der ein Jahrzehnt lang die Stadt ,,regierte".

Inflation und politischer Mord
Die schleichende Geldentwertung und Teuerung, die mit dem Kriege eingesetzt hatte, wurde in den ersten Nachkriegsjahren zur immer schneller galoppierenden Inflation. Hinzu kamen die harten Friedensbedingungen der Weltkriegs-Sieger, die 1919 im Friedensvertrag von Versailles von Deutschland hohe Reparationen verlangten, in Geld und Waren. Als die Lieferungen nicht pünktlich rollten, besetzten die Franzosen als ,,Pfand" das Ruhrgebiet. In Deutschland versuchten rechte Parteien und Gruppen,

aus all dem politisches Kapital zu schlagen". Die ,,Dolchstoßlegende" von der Schuld der Revolution am verlorenen Krieg ging um: Die Heimat sei der kämpfenden Front in den Rücken gefallen. Die demokratische Republik wurde als ,,Juden Republik", deren Vertreter, die das ,,Versailler Friedensdiktat" unterschreiben mußten, wurden im nachhinein als Regime der ,,November-  Verbrecher" verleumdet. Schon bei den ersten Reichstagswahlen am 6. Juni1920 verlor die ,,Weimarer Koalition" im Reich ihre Mehrheit. Das übertreibende Schlagwort von der ,,Republik ohne Republikaner" kam auf.

Inflation - Alptraum der Berliner
Inflationsgeld15.November. Die Ausgabe der Rentenmark als Ersatz für das  praktisch wertlos gewordene Papiergeld leitet das Ende der seit April zunehmend katastrophaleren inflationären Entwicklung ein, die in Berlin zu Massenelend und sozialen Konflikten geführt hat. Eine Verordnung vom Vortag spiegelt die grotesken Zustände in der Stadt wider: Schlemmerlokale und Tanzpaläste werden zur Einrichtung von Volksküchen und Wärmehallen requiriert. Für Devisen bekommt man alles; Ausländer und deutsche Spekulanten leben im Luxus. Auch die »kleinen Leute« lenken sich durch billige Vergnügungen von Bedrohungen ihrer Existenz ab.
Wer nicht zu den 250000 Arbeitslosen gehört, dessen Reallohn schrumpft von Tag zu Tag. Im Oktober muß ein Facharbeiter für ein Pfund Margarine neun Stunden arbeiten. Täglich mittags wird das von Ullsteins Druckereimaschinen in der Kochstraße produzierte Papiergeld Kofferweise ausgezahlt; man rennt damit zum nächsten Laden um Lebensmittel oder Sachgüter zu kaufen, ehe das Geld wertlos geworden ist. Lebensmittel sind die wahre Währung; Unternehmen zahlen den Lohn in Broten. Als ein Vierpfundbrot am 4. November plötzlich 420 Millarden Mark kostet (am 1.waren es 130 Milliarden), plündern aufgebrachte, verzweifelte Bürger die Bäckerläden. Die zunehmende Lebensmittelverknappung verleitet zu Felddiebstählen rings um die Stadt. Bauern verteidigen ihre Erträge, die sie für wertloses Papiergeld nicht verkaufen wollen, mit Schußwaffen töten sie mehrere Menschen.
In diese gespannte Situation fällt die Einführung der Rentenmark, zu deren Deckung man aus Mangel an Goldreserven Grundbesitz und Industrie mit Hypotheken belastet hat. Am 20. November des Jahres wird das Umtauschverhältnis zum Dollar fixiert (1 US-Dollar = 4,2 Billionen Papiermark); eine Million Papiermark entsprechen nun einer Gold- oder Rentenmark. Das Ende der Krise ist erreicht.
Papiergeld der Inflationszeit: Täglich werden neue Banknoten gedruckt und auf schnellsten Wegen in Umlauf gebracht (Banknote, 1922) Waschkorbladungen voll Papiergeld verlassen die Reichsbank.

Bürgermeister SahmPolitische Radikalisierung
Am 17. November 1929 gab es eine für städtische Wahlen sehr hohe Wahlbeteiligung von 70,3 %. Hitlers ,,Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" (NSDAP) und die ,,Deutschvölkische Freiheitspartei" nahmen gegenüber 1925 um 112000 Stimmen zu und erreichten zusammen über 139000 Stimmen; das waren 5,8 %. Die ,,Deutschvölkische", zu deren Gunsten die NSDAP 1925 auf Kandidaten verzichtet hatte, erhielten davon nur noch 7400 Stimmen. Noch mehr hatten, mit einer Zunahme um fast 218000 Wähler, die Kommunisten gewonnen, die damit 24,6 % erreichten. Insgesamt hatte es 1929 über 440000 Stimmen mehr als 1925 gegeben. Sie kamen also zu drei Vierteln (330000) den beiden Flügelparteien zugute. Das war, auch wenn die SPD mit nur noch 28,4 % knapp den Rang der stärksten Partei behauptete, im politischen Zentrum des Reiches ein ernstes Zeichen der Radikalisierung. Fraktionschef der NSDAP im Rathaus wurde Joseph Goebbels, der seit 1926 die Berliner NSDAP und ihre ,,Sturmabteilungen", die SA, mobilisiert hatte. Vorsitzender der KPD-Fraktion war Wilhelm Pieck, der spätere DDR-Präsident.

Unterdessen bildete der Landtag auf Antrag der Deutschnationalen einen Untersuchungsausschuß ,,zur Prüfung der Mißwirtschaft in der Berliner Stadtverwaltung". Anfang 1931 schränkte ein preußisches Gesetz Berlins Selbstverwaltung ein und stärkte die Position des Oberbürgermeisters als ,,Führer der Verwaltung". Erst jetzt, über ein Jahr nach dem Rücktritt von Böß, wurde der parteilose, als konservativ geltende frühere Danziger Senatspräsident Heinrich Sahm zum Nachfolger gewählt.

Das Ende der Demokratie
SA in BerlinDie Wirtschaftskrise entwickelte sich zur Staatskrise, und Berlin war zwangsläufig ihr Zentrum. Seit den Septemberwahlen 1930, die den Nationalsozialisten 107 statt der bisherigen zwölf Reichstagssitze und allein in Berlin fast 400000 Wähler (14,60/0) gebracht hatten, regierte Reichskanzler Brüning vor allem mit Notverordnungen, da er für wichtige Gesetze keine Mehrheit fand. Sein ,,Präsidialkabinett" hatte 1930 die letzte von einer Parlamentsmehrheit getragene Koalition abgelöst, deren Chef noch einmal ein Sozialdemokrat, Hermann Müller, gewesen war.
1932 spitzten sich die Ereignisse zu. Im April wurde Reichspräsident Paul von Hindenburg, Generalfeldmarschall des Ersten Weltkrieges, wiedergewählt. 1925 war er nach Eberts Tod als Kandidat der Rechten Reichspräsident geworden. Nun, 1932, war er dagegen der Kandidat der Mitte und der SPD gegen Adolf Hitler, den die Rechte unterstützte. Bald danach entließ Hindenburg den Reichskanzler Brüning und ernannte den konservativen Katholiken Franz von Papen zum Nachfolger. Papen trieb die Krise voran, indem er die nach zahllosen Straßenschlachten verbotene SA wieder zuließ. Die Nazis verstärkten in Berlin ihren Straßenterror, und diesen erneuten Bürgerkrieg nahm Papen am 20. Juli1932 mit zum Vorwand, um über Berlin und Brandenburg den Ausnahmezustand zu verhängen und die preußische Regierung, mit dem Sozialdemokraten Otto Braun an der Spitze, abzusetzen. Unter ihm und mit einer Regierung der ,,Weimarer Koalition" war Preußen, das zwei Drittel des Reiches umfaßte, bis dahin durch alle Krisen eine wichtige Stütze der Demokratie gewesen. Schon vor diesem ,,Preußensch lag", der einem Staatsstreich nahe kam, hatte Papen den Reichstag aufgelöst. Die Wahl am 31. Juli 1932 brachte erstmals NSDAP und KPD zusammen jene ,,negative" Mehrheit, die nicht regieren, aber die Regierung durch Aufhebung der Notverordnungen lahmlegen konnte. Die NSDAP erhielt im Reich jetzt 37'4 % (in Berlin 28,6 %), die KPD 14,6 % (in Berlin 27,3 %). Die SPD bekam 21,6 % (in Berlin 27,3 %) der gültigen Stimmen.
Der Reichstag wurde erneut aufgelöst. Bevor er - mit leichten Verlusten der NSDAP, die an den Mehrheiten nichts änderten - im HindenburgNovember 1932 wiedergewählt wurde, erlebte Berlin noch ein Zwischenspiel besonderer Art: Die KPD unter Walter Ulbricht, der inzwischen Parteichef von Berlin-Brandenburg war, und die NSDAP unter Goebbels, dem Gauleiter von Berlin, organisierten zusammen einen Streik gegen Lohnkürzungen bei der BVG und legten vorübergehend das Verkehrsnetz Berlins lahm.
Zwei Monate später, nachdem Papen ebenso wie sein Nachfolger, General von Schleicher, gescheitert war, ernannte Hindenburg Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler.
,,Die Berliner" haben ihn gewiß nicht gewählt. Gerade in der Hauptstadt kam die NSDAP, bevor sie an der Macht war, kaum über ein Viertel der Stimmen hinaus. Fast drei Viertel der Berliner stimmten gegen sie - aber damit noch nicht für die Weimarer Demokratie. Nimmt man KPD, NSDAP und die mit ihr in der ,,Harzburger Front" verbündeten Deutsch nationalen zusammen als Parteien, die bei aller Gegensätzlichkeit ihrer Programme in der Ablehnung des parlamentarisch-demokratischen Staates übereinstimmten, so stimmten auch zwei Drittel der Berliner Wähler gegen ,,Weimar". Das gehört zu den Widersprüchen, an denen zwischen 1918 und 1933 die deutsche Demokratie zerbrochen ist.

nach oben


Werbung:

Impressum - Kontakt - Surftipps - Downloads - Werbung