Als Scheunenviertel bezeichnet man das am Rand einer Ortschaft gelegene Gebiet, das meist zusammenhängend und straßenbegleitend mit Scheunen zur Lagerung von Heu bebaut wurde. Grund für die Anordnung der Scheunen vor den Toren der Dörfer war die hohe Brandgefahr durch die mögliche Heuselbstentzündung der eingelagerten Mahd.

Aufgrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft sind die Gebäude der Scheunenviertel vielfach umgenutzt oder abgerissen worden. Projekte wie "Regionale Scheunenviertel der Aller-Weser-Hunte-Region" in Niedersachsen haben es sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung und die Entwicklung der Scheunenviertel zu dokumentieren und erlebbar zu machen. Außerdem versuchen sie, die noch vorhandenen Gebäude zu erhalten.

 

Scheunenviertel (Berlin-Mitte)

Stadtviertel in Berlin-Mitte: Altkölln (Spreeinsel) [1] (mit Museumsinsel [1a], Fischerinsel [1b]), Alt-Berlin [2] (mit Nikolaiviertel [2a]), Friedrichswerder [3], Neukölln am Wasser [4], Dorotheenstadt [5], Friedrichstadt [6], Luisenstadt [7], Stralauer Vorstadt (mit Königsstadt) [8], Gebiet Alexanderplatz (Königsstadt und Altberlin) [9], Spandauer Vorstadt [10] (mit Scheunenviertel [10a]), Friedrich-Wilhelm-Stadt [11], Oranienburger Vorstadt [12], Rosenthaler Vorstadt [13]

Als Scheunenviertel wurde früher ein im heutigen Berliner Ortsteil Mitte unweit des historischen Stadtkerns gelegenes Gebiet nördlich der Stadtmauer zwischen dem Hackeschen Markt und dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz bezeichnet.

Heute wird häufig damit der gesamte Bereich zwischen der Friedrichstraße und der Karl-Liebknecht-Straße bezeichnet, der im Süden durch die Stadtbahn (ungefähr der Verlauf der alten Stadtmauer) und die Spree, sowie im Norden durch die Linienstraße bzw. Torstraße begrenzt ist. Tatsächlich umfasst das Scheunenviertel lediglich den östlich der Rosenthaler Straße gelegenen Teil der Spandauer Vorstadt. Im Norden schließen sich die zu Prenzlauer Berg gehörenden Gebiete um den Teutoburger Platz und Kollwitzplatz an.

 

Preußen
Im Jahr 1670 hatte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm aus Brandschutzgründen den Unterhalt von Scheunen innerhalb des Stadtgebietes untersagt, um 1672 ordnete er den Bau von 27 Scheunen in unmittelbarer Nähe der damaligen Stadtmauer an. So entstand das heutige Scheunenviertel. Der heutige Alexanderplatz war zu jener Zeit ein Viehmarkt, für dessen Betrieb große Mengen Heu und Stroh benötigt wurden. Da die Brandschutzordnung das Lagern derart feuergefährlicher Materialien innerhalb der Stadtmauer verbot, wurden die Scheunen außerhalb der Mauer errichtet. Nördlich der heutigen Dircksenstraße, die deren ungefähren Verlauf vor der barocken Stadtbefestigung markiert, befanden sich ausgedehnte, landwirtschaftliche Nutzflächen. Das Scheunenviertel diente zudem als Heimstatt für die dort beschäftigten Landarbeiter. Nach dem Abriss der Stadtmauer wurde das Gebiet bebaut, behielt aber im Volksmund seinen alten Namen.

1737 befahl Friedrich Wilhelm I. allen Berliner Juden, die kein eigenes Haus besaßen, ins Scheunenviertel zu ziehen. Dieses Gesetz und die Regelung, dass Juden nur durch die beiden nördlichen Stadttore die Stadt betreten durften, führten dazu, dass an dieser Stelle ein Viertel mit starken jüdischen Kultureinflüssen entstand. Neben der Synagoge Heidereutergasse entstanden der Jüdische Friedhof Berlin-Mitte und der Jüdische Friedhof Schönhauser Allee in unmittelbarer Nähe zum Scheunenviertel.

Für viele ostjüdische Einwanderer war es angesichts dieser Bedingungen naheliegend, sich hier ebenfalls anzusiedeln, als sie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nach Berlin kamen. Das führte schnell zu einer stark anwachsenden Bewohnerzahl in diesem Gebiet. Auf engstem Raum mussten die Familien ihre Stube im Schichtbetrieb mit Schlafburschen teilen. Ein typischer Erwerbszweig war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die aufkommende Zigarettenherstellung mit allen Familienmitgliedern.

Zeit der Industrialisierung
Der Prozess der Industrialisierung hinterließ im Scheunenviertel gravierende Spuren. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde Berlin zur größten Industriestadt Europas. Die Bevölkerungsdichte stieg innerhalb weniger Jahre rapide an, der Wohnraumbedarf der zuziehenden Arbeiter wurde nur verspätet und unzureichend durch den Bau von Mietskasernen in den neu entstehenden Stadtteilen gemindert. In den kleinteiligen Altbauten des Scheunenviertels herrschte drangvolle Enge. Viele Neuankömmlinge fanden hier ihre erste Wohnstatt. Die knappen Schlafplätze in den untervermieteten Wohnungen wurden oftmals analog zu den Schichten in den nahe gelegenen Borsigwerken geteilt. Wer nicht schlief oder arbeitete, hielt sich in den Straßen auf oder verbrachte die wenige Freizeit in einer der zahlreichen Kneipen des Viertels (z. B. in der um die Mulackstraße gelegene sogenannten „Mulackei“ oder „Mulackritze“).

Wegen der katastrophalen baulichen und sozialen Situation beschloss der Berliner Magistrat, das Viertel ab 1906/1907 komplett umzugestalten. Waren bis dahin noch vier der ursprünglich acht Scheunengassen vorhanden, wurde nach dem Abriss vieler Gebäude das Straßennetz rund um den Rosa-Luxemburg-Platz neu gestaltet:

Erste Scheunengasse – heute überbaut
Zweite Scheunengasse – heute Rosa-Luxemburg-Straße
Dritte Scheunengasse – heute Zolastraße
Vierte Scheunengasse – heute Weydinger Straße
Kleine Scheunengasse – heute überbaut
Wegen des Ersten Weltkrieges wurde die Umgestaltung des gesamten Viertels jedoch abgebrochen, sodass im westlichen Bereich noch die alte Bausubstanz vorhanden ist, während am Platz moderne Gebäude aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dominieren.

Straßenhandel im Scheunenviertel 1933Scheunenviertelpogrom 1923
Straßenhandel im Scheunenviertel 1933In den ersten Jahren der Weimarer Republik wurde das Scheunenviertel im Zusammenhang mit der Hyperinflation 1922/1923 zum Ziel antisemitischer Pogrome. Aufgrund einer am 23. November 1923 publizierten Zeitungsmeldung, wonach die Bäckerinnung beschlossen habe, den Brotpreis um das Vielfache anzuheben, versammelten sich tausende Erwerbslose vor dem Arbeitsamt in der Gormannstraße, um entsprechende Unterstützungsgelder auszufassen. Der Menge wurde aber schon nach kurzer Zeit mitgeteilt, es wäre kein Geld mehr zur Auszahlung vorhanden. Hierauf traten Agitatoren an die aufgebrachte Menge heran, die verbreiteten, „Galizier“ (d. h. Ostjuden) aus dem Scheunenviertel hätten das vorhandene Geld planmäßig aufgekauft. Bald begannen im Scheunenviertel mit seinen Hinterhöfen und fliegenden Händlern Ausschreitungen, die sich gegen alle Personen und Geschäfte richteten, die der Menge „jüdisch“ erschienen. Dabei wurden Menschen aus ihren Wohnungen herausgezerrt und verprügelt und Geschäftseinrichtungen verwüstet [1]. In zeitgenössischen Zeitungen wie der "Vossischen Zeitung" war zu lesen, die Polizei habe sich bei den Ausschreitungen auffallend zurückgehalten, wo es ihr doch ein Leichtes gewesen wäre, der Menge Einhalt zu gebieten.

Die Namensverwechslung
Die Berliner Polizei durchsucht gemeinsam mit der nationalsozialistischen Hilfspolizei Gebäude im Scheunenviertel1933: Die Berliner Polizei durchsucht gemeinsam mit der nationalsozialistischen Hilfspolizei Gebäude im ScheunenviertelHeute wird das Scheunenviertel häufig mit der Spandauer Vorstadt gleichgesetzt. Dies hat einen historischen Hintergrund: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich das Scheunenviertel zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Das Viertel war geprägt durch Armut, Prostitution, Kleinkriminalität und hatte bei der Berliner Bevölkerung einen entsprechenden Ruf. Im westlich angrenzenden Teil der Spandauer Vorstadt hatte sich dagegen ein gut-bürgerliches, jüdisch geprägtes Milieu etabliert. Hier hatte auch die Reformierte Jüdische Gemeinde mit der Neuen Synagoge (Oranienburger Straße) ein bedeutendes Zentrum. Um die in der westlichen Spandauer Vorstadt ansässigen Juden zu verunglimpfen, dehnten die Nationalsozialisten den in Verruf geratenen Namen Scheunenviertel auf die gesamte Spandauer Vorstadt aus, also fälschlich etwa auch auf die Oranienburger Straße mit der Neuen Synagoge.

Heute ist die Bezeichnung Scheunenviertel nicht mehr mit der ehemals negativen Bedeutung verbunden, sondern steht vielmehr für das hier nach 1990 etablierte „Szeneviertel“. Rund um die Neue Schönhauser Straße wird Designermode verkauft. Aber auch die Nähe zum Hackeschen Markt, der Oranienburger Straße und zur Kastanienallee machen das Gebiet attraktiv.

Quelle: WIKIPEDIA

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