Neuer "Berlinpass" soll Armen die Stadt öffnen
Mehr Vergünstigungen für Hartz-IV-Empfänger ab 2009

von Jan Thomsen

Der rot-rote Senat will mit einem kleinen Pappkärtchen Sozialgeschichte schreiben. Ein neuer "berlinpass" soll ab Januar 2009 allen Berechtigten die Möglichkeit - sofern vorhanden - auf vergünstigte Tickets für Kultur-, Sport-, Bildungs- und Freizeitveranstaltungen in Berlin einräumen. Die auch im Design neu konzipierte Karte ersetzt dann bisherige Nachweise wie etwa amtliche Bescheide oder auch das "Berlin-Ticket S", das für Busse und Bahnen sowie teils auch für andere Einrichtungen gilt. Den "berlinpass" gibt es künftig bei den Bürgerämtern der Bezirke, berechtigt sind alle Empfänger von Hartz IV, Sozialhilfe, Grundsicherung sowie Asylbewerber samt Familienangehörigen. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Die Linke) sagte, der neue Schein sei "ein Pass für die ganze Stadtgesellschaft."

Design stammt von Studenten
Ziel des Senats war es, einen einheitlichen Berechtigungsnachweis für sämtliche Vergünstigungen in der Stadt zu entwerfen, der nicht stigmatisiert. "Niemand muss mehr in der Schlange vor der Ticketkasse seinen Hartz-IV-Bescheid zücken", sagte die Senatorin. Künftig reicht der Berlinpass, dessen gestalterischer Entwurf von den Studentinnen Marita Müller und Claudia Hauser von der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (FHTW), eingeschrieben im Fach Kommunikationsdesign, stammt. Das moderne Logo mit einem Schlüsselloch-Motiv ist mit dem appellhaften Slogan "Öffne Dir die Stadt" kombiniert; im Hintergrund ist mit groben Pixeln der Fernsehturm als Symbol für die Hauptstadt zu sehen.

700 000 haben Anspruch

Anspruch auf einen Berlinpass haben nach Angaben von Knake-Werner rund 700 000 Menschen. Neben den bereits bestehenden Vergünstigungen wie etwa dem 3-Euro-Kulturticket für Restkarten in Theatern und Opern oder verbilligtem Eintritt für Museen und für Schwimmbäder sollen auch immer mehr Privatanbieter überzeugt werden, solche Angebote zu machen. Die ersten konnte Knake-Werner bereits gestern präsentieren. So wird Alba Berlin reduzierte Tickets anbieten, ebenso der 1. FC Union Berlin. Auch die (landeseigene) Messe GmbH plant vergünstigte Tickets für die Grüne Woche.

Auch Hertha BSC stellte ein eigenes Angebot vor. Vereinsgeschäftsführer Ingo Schiller sagte, Hertha wolle für ausgesuchte Heimspiele Tickets fürs Olympiastadion zum Preis von fünf Euro abgeben, und zwar in nichtlimitierter Zahl. "Für welche Spiele das gilt, legen wir in jeder Hin- und Rückrunde neu fest", sagte Schiller. Diesmal sei auch etwa das Spiel Hertha gegen Bayer Leverkusen dabei, ausgenommen sind allerdings Spitzenspiele wie zum Beispiel gegen Bayern München, bei denen der Verein ohnehin ein volles Stadion erwartet. Der Hertha-Geschäftsführer erklärte, dass den Käufern der ersten 2 000 Berlinpass-Tickets einmalig noch eine weitere Eintrittskarte zur Verfügung gestellt werde, damit auch "Freunde und Familienangehörige" dabei sein können.

Pass mit Foto

Pass: Den Berlinpass gibt es ab Januar 2009 in den Bürgerämtern. Um ihn zu erhalten, wird der Bescheid vom Jobcenter beziehungsweise vom Sozialamt über die Bewilligung von Sozialleistungen (der "Hartz-IV-Bescheid") sowie ein Passfoto benötigt. Asylbewerber müssen ihre Aufenthaltsberechtigung vorlegen, sie erhalten den Pass in der Zentralen Leistungsstelle für Asylbewerber.

Berlin-Ticket S: Wer bisher übers Jobcenter ein "Berlin Ticket S" erhielt, um eine vergünstigte Monatskarte kaufen zu können, kann dieses Ticket vorerst behalten. Es bietet ab 2009 bis zum Ablauf seiner Gültigkeit die gleichen Vergünstigungen wie der Berlinpass. Erst danach muss beim Bürgeramt ein Berlinpass beantragt werden.

Gültigkeit: Der Berlinpass ist stets genauso lang gültig wie der jeweilige amtliche Bescheid über die Bewilligung von Leistungen. Der Pass kann bei Vorlage eines neuen Bescheids zweimal verlängert werden, dann gibt es einen neuen Berlinpass.

Informationen und Angebote für den Berlinpass im Internet unter:

www.berlin.de/sen/soziales/sicherung/berlinpass

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Sozialsenatorin redet mit Bezirken über Berlinpass
Trotz Chaos aber zunächst keine Änderungen geplant

von Thomas Rogalla

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) will die Stadträte, die in den Bezirken für die Bürgerämter zuständig sind, "zeitnah" zu einem Gespräch über die Probleme bei der Ausgabe des neuen Berlinpasses einladen. Wie berichtet, führt der Andrang von ALG-II-, Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfängern des am 1. Januar eingeführten Passes zum Teil zu "chaotischen Zuständen", wie die zuständige Steglitzer Stadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) berichtet. Der Pass berechtigt etwa 720 000 Berliner zu einer Reihe von Vergünstigungen, vom BVG-Sozialticket bis zu verbilligtem Eintritt in Museen. Der Andrang sei so enorm, dass es im Steglitzer Bürgeramt zu langen Wartezeiten komme, sagte Richter-Kotowski. Das sei "eine völlig unnötige Belastung für die Bürgerämter und die betroffenen Hilfeempfänger". Wie ihre Neuköllner Stadtratskollegin Stefanie Vogelsang (CDU) plädiert Richter-Kotowski dafür, die Pässe durch die Jobcenter ausgeben zu lassen, wenn die Arbeitslosen dort ohnehin ihren Bescheid erhalten. Die Bezirke hätten immer vor der Vergabe durch die Bürgerämter gewarnt, aber der Pass sei "eine der Senatsideen, die man den Bezirken aufbürdet, ohne Geld und Personal dafür zu haben".

Auch Vogelsang erinnert sich, dass "die Bezirke nicht Juchhu gerufen haben, als der Senat die Karte einführen wollte", gegen die im Prinzip nichts einzuwenden sei. Der doppelte Weg zum Jobcenter (für den Bescheid) und zum Bürgeramt (für den Pass) werde von den Arbeitslosen aber nicht als Erleichterung, sondern als Behördenschikane empfunden, was zu Aggressionen gegen Amtsmitarbeiter führe.

Knake-Werner hat eine ganz andere Erinnerung. Nach dem Senatsbeschluss für den Pass Ende April 2008 seien der Rat der Bürgermeister sowie der zuständige Fachausschuss des Rates in die Entscheidungen einbezogen gewesen. Das Landesamt für Bürgerdienste und Ordnungsangelegenheiten habe im Juli ein Konzept vorgelegt und mit einer Arbeitsgemeinschaft, an der vier Bezirksvertreterinnen beteiligt gewesen seien, bis November fertiggestellt. Außerdem habe der Senat den Bezirken Geld für die neue Aufgabe gegeben. Bis 2010 stünden 776 000 Euro zur Verfügung. Erst nach einem ausreichend langen Erfahrungszeitraum werde man entscheiden, ob der eingeschlagene Weg tauge. Vogelsang räumte ein, sie habe sich bei der zusätzlichen Belastung der Mitarbeiter durch den Berlinpass verschätzt. Es gehe jetzt aber "nicht um die Schuldfrage, sondern darum, das Problem zu lösen".

Die Probleme von Neukölln haben nicht alle. Stephan von Dassel (Grüne), Stadtrat für Bürgerdienste in Mitte, sagte, seine Mitarbeiter seien durch den Berlinpass zwar belastet. Da die Ausstellung der Pässe aber "ratzfatz" in fünf Minuten erledigt sei, "kriegen wir das hin". Mitte, das mehr Hilfeempfänger als Neukölln hat, hat wie andere Bezirke eigene Warteschlangen für die Berlinpass-Kunden eingerichtet. Außerdem wurden die Mitarbeiter am Tresen durch Einrichtung eines "Mittel-Office" entlastet. Das nimmt den Front-Leuten alle anderen Arbeiten ab.

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